Die Eichengallwespe in der Kanzlei

IMG_6747An vielen Eichenblättern findet man jetzt grüne oder braune Kugeln. Sie sind so groß wie Murmeln (Schusser auf Bayerisch, Knicker im Ruhrdeutsch), richtig schön rund und glatt und sie sitzen auf Blättern oder an Ästen der Eichen. Das sind “Gallen”. Gallen sind Kinderstuben – in diesem Fall ist es die Kinderstube der Eichengallwespe.

So eine Eichengallwespe sieht gar nicht wespig aus, sie ist reinschwarz und man würde sie beim flüchtigen Hingucken eher für eine Fliege halten. Die weibliche Eichengallwespe piekst eine Blattader an und legt ein Ei hinein. Das Eichenblatt umwuchert die Stelle mit Pflanzengewebe, in dessen Innern das Ei zur Larve wird. Die Larve frisst die Galle von innen her auf, bis nur noch die Hülle über bleibt und eine neue, fertige Eichengallwespe ausfliegen kann. Dann bleibt eine schrumpelige braune Hülle zurück.

Die Menschen sind übrigens gar nicht so schlau! Sie wissen genauso wenig wie wir Waschbären, warum eine Eichengallwespe eine Galle bekommt, die hübsch rund wird und eine Rosengallwespe einen lustigen haarigen Ball. Es gibt auch Gallmücken, für deren Eier kleine Zipfelmützen auf den Blättern wachsen.

Soweit die Eichengallwespe. Was hat sie nun mit der Kanzlei zu tun?

Die Galle enthält sehr viel Gerbstoffe, aus denen sich eine tiefschwarze Tinte gewinnen lässt. Dazu muss man die Galläpfel erst mal trocknen, zerstampfen und zerkochen. Dann wird ein Eisensulfat (Eisenvitriol) hinzugefügt. Noch ein Schuss Gummi arabicum dazu, damit das ganze nicht ausflockt und schön flüssig bleibt. Vermutlich kräftig schütteln (das gehört irgendwie immer zu solchen Rezepten) und luftdicht verschließen.

Das Ergebnis des Ganzen ist Eisen-Gallus-Tinte. Ab in den Federhalter damit und rauf auf’s Papier – jetzt erst, in Kontakt mit dem Sauerstoff der Luft, bildet sich die endgültige Tinte: nach einem Tag wird das Geschriebene tiefschwarz. Dieser Schriftzug ist dokumentenecht, das heißt, er ist wischbeständig, kann nicht ausradiert werden und ist nicht ohne Spuren zu entfernen. Sie verblasst kaum und wenn man Wasser drüberkippt, bleibt der Schriftzug noch erhalten. Laut einer alten Vorschrift von 1933 muss ein acht Tage alter Schriftzug nach dem Waschen mit Wasser und Alkohol immer noch tiefschwarz sein. Das hat man früher eine Kanzleitinte genannt.

Die Eichengallwespe war doch damals eigentlich Mitarbeiterin einer Kanzlei – unentbehrlich. Hatte sie Urlaubsanspruch? Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall? Hat sich bestimmt wieder kein Mensch drum gekümmert!

Verblasst eine Schrift mit Eisen-Gallus-Tinte doch einmal, kann die Schrift wieder lesbar gemacht, indem man Kaliumhexacyanoferrat(II) mit überschüssiger Salzsäure darüber gießt. Das musste ich jetzt unbedingt wegen des schönen Wortes aufschreiben!

Eisen-Gallus-Tinte wird heute noch bei wichtigen Dokumenten und in der Kalligrafie verwendet. Für den täglichen Gebrauch ist sie wenig empfehlenswert. Moderne Füllfederhalter würden die Tinte nicht lange überleben: eine Stahlfeder sollte es schon sein. Tägliches Ausspielen der Feder (wer macht das schon?) ist das absolute Muss. Urkundenecht heißt auch, dass sie nie, nie wieder aus einem Kleidungsstück herausgewaschen werden kann. Herzlichen Glückwunsch!

Und hier noch das Originalrezept von 1716, um “gute Dinten” zu machen:

Nimm 2 Maß sauber Regenwasser in ein sauberen Dintenhafen. Thu darein 18 Lod schwarzen Gallus, grob gestoßen und den Staub darvon gesiebet. Dann tu darein 8 Lod weißen Gummi. Laß wiederum drei Tage und Nächt stehen. Alsdann tu darin 8 Lod Vitriol und 1 Lod Alaun samt einem Glas voll Essig und ein Löffel voll Salz. Rühre es wohl unter einanderen. Stelle den Hafen Sommerszeits an die warme Sonne, im Winter aber auf einen warmen Ofentritt, vierzehn Tag lang und alle Tage einmal umgerührt. Gibt eine ausbündig schöne schwarze Dinten.

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